I. Zum geographischen und historischen Rahmen


1. Das Anwesen, über das hier berichtet werden soll, liegt im Odenwald. Dieses deutsche Mittel-und Waldgebirge, dessen höchste Erhebung, der "Katzenbuckel" bei Eberbach, 626 Meter erreicht, läßt sich für den Unkundigen zunächst grob zwischen den Flüssen Main und Neckar lokalisieren.Der Vordere oder christalline Odenwald, dessen Sandsteindecke weitgehend geschwunden ist, fällt im Westen an der "Bergstraße" gegen die Rheinebene hin ab, während der Hintere Odenwald noch heute durch den roten Buntsandstein bestimmt wird. Auf dem Wiener Kongress teilten sich das Königreich Bayern und die Großherzogtümer Hessen-Darmstadt und Baden das Waldgebirge, welches bis dahin in noch zahlreichere geistliche und weltliche Herrschaftsgebiete aufgeteilt war. Nach der bekannten Metapher des Philosophen Spinoza frassen eben auch dort wieder die graßen Fische die kleinen. Die Bundesländer Bayern, Baden und Hessen bewahren heute den Großteil des umfangreichen Waldgeländes als "Naturpark" und versuchen es so gemeinsam zu schützen. Die Aufteilung unter drei Bundesländer hat Vor-und Nachteile, zu letzteren gehören auch manche unterbliebenen Verbesserungen des Straßen- und Schiennetzes.

2. Der Landkreis Miltenberg, der auch das uns nun naher interessierende Buntsandsteingebiet des Odenwalds um Amorbach umfaßt, gehört zu Bayern. Man kann über "das letzte Schwanzhaar des bayerischen Löwen" spotten, denn es läßt sich von dort leicht zu Fuß nach Hessen und Baden hinüberwandern und sagar zu einem einsamem "Dreilandereck" mit Grenzstein im Wald. Früher war dort gewiß ein günstiges Gelände für Schmuggler und Wilderer. Reste des älteren "Limes" der Römer lassen sich, um l00 n. Chr. errichtet, an verschiedenen Stellen im Walde entdecken, auch mit Resten eines Kastells und eines anspruchsvolleren Bades. Doch blieben die Römer ephemär. Entsprechendes gilt schon frühere Besucher, die wohl vor Allem das noch heute gute Jagdgelände schätzten, wovon gelegentliche Steinzeitfunde zeugen.

Im Unterschied zur weit früheren Siedlungstätigkeiten an Main und Neckar ist die Besiedlung größerer Gebiete des hinteren Odenwalds vermutlich vor Allem iro-schottischen Mönchen zu verdanken. Sie gründeten in der ersten Hälfte es 8.Jahrhunderts unter dem Schutz fränkischer Dynasten das Benediktinerkloster Amorbach. Es ging früh in Reichsbesitz über und wurde mit Reichsgut ausgestattet, während Amorbach selbst 1253 von den Lehensträgern des Reiches, den Waldgrafen von Durne, zur Stadt erhoben wurde. Die Erzbischofe von Mainz, an die es die kurzlebige Dynastie, welche die Wildenburg erbaute, noch im selben Jahrhundert verkaufte, blieben dort bis zum Reichsdeputationshauptschluß 1803 die Territorialherren. Dann fiel das Gebiet 1806-1809 an die Fürsten v. Leiningen als Entschädigung für ihre durch Napoleon enteigneten linksrheinischen Territorien.

Nach kurzer badischer und hessischer Herrschaft wurde das Gebiet 1816 dem Königreich Bayern angegliedert . Das Leiningensche Fürstenhaus ist aber bis heute in Amorbach ansässig und verfügt in der Region noch über umfangreichen, erst kürzlich reduzierten Waldbesitz. Es hat weiterhin bedeutenden Einfluß ausgeübt und trägt weiter Verantwortung.

Der Sandboden des bayerischen Odenwalds ist nicht besonders ertragreich. Er wurde und wird daher zweckmässigerweise stark mit Waldwirtschaft genutzt. Noch bis Ende des 18.Jahrhunderts gab es dort fast ausschließlich Laubwälder (vor allem Buchen, aber auch Eichen), während heute Monokulturen mit Fichten und Kiefern vorgedrungen sind, deren Nachteile man inzwischen erkennt.

Die Aufforstungen engten auch das Ackerland ein, das man in den höheren Lagen seit den mittelalterlichen Rodungen kultivierte. Entsprechendes gilt für die gut zu bewässernden Talauen mit mehreren Heuernten. Heute wird wieder häufiger das Vieh draußen gelassen. Zu berücksichtigen ist grundsätzlich aber immer, daß moderne landwirtschaftliche Maschinen auf dem abschüssigem Gelände der Täler bald an ihre Grenzen stoßen. Noch ein Satz zum Weinbau,von dessen Ausdehnung nach Süden noch einige Terrassen bei Kirchzell zeugen. Die Sakularisation der Benediktinerabtei Amorbach dürfte auch hier das Ende gewesen sein. Nahebei, am Main, schon in Bürgstadt und Kleinheubach, wachsen eben weit bessere Tropfen.

3. Wenn wir von Amorbach zunächst 5 km südwärts der Straße nach Eberbach am Neckar folgen, so kommen wir zum Markt Kirchzell mit stattlicher neugotischer Kirche. Kirchzell war eine urkundlich bereits 1271 erwähnten Gründung des Klosters Amorbach und erhielt 1700 Marktrechte. Direkt nach Kirchzell geht westlich die alte Verbindungsstraße nach Watterbach ab, einem idyllischen Dorf, das urkundlich, soweit erhalten, zuerst 1395 erwähnt wurde. Kurz vor dem ersten Weltkrieg baute man parallel zum alten Verbindungsweg, auf der anderen Seite des dort fließenden Waldbachs eine Kreisstraße. So bleibt heute der altere Verbindungsweg, an dem leider ein Bildstock des 17.oder 18.Jahrhunderts nach dem 2.Weltkrieg verschwunden ist, nun der Land-und Forstwirtschaft, Wanderern, Radfahrern und sporadischen Pferdegespannen und Reitern vorbehalten.

An dieser alten Straße von Kirchzell nach Watterbach liegt auch der seit dem Mittelalter bezeugte "Wolfsbrunn". Die Quelle entspringt an der Gemarkungsgrenze zwischen Kirchzell und Watterbach dort, wo die Schlucht "Wolfsklinge" in das Tal des Waldbachs einmündet. Dieser Bach führt seine Wasser über die Mud dem Main und damit schließlich dem Rhein zu. Dies hatte bis in die Neuzeit hinein praktische Bedeutung für die dort bis in die Neuzeit hinein betriebene Flösserei, einem schwierigen, nicht ungefährlichen Gewerbe.

Der Wolfsbrunn selbst konnte natürlich ebensogut wie unzählige Quellen des Odenwalds die Stelle gewesen sein, wo Hagen angeblich den Siegfried erschlug. Die sog. Siegfried- und Nibelungenstraßen der Touristik verlaufen nicht fern.

In noch grauerer germanischer Sagenzeit soll auch der "wilde Jäger" sein Unwesen an der Wolfsschlucht getrieben haben. Sicher ist nur, daß es an der Wolfsklinge Wölfe gab. Der letzte Isegrimm im Odenwald, ein einsamer Nachzügler, wurde aber bereits um 1850 erlegt und ist in Eberbach zu sehen.

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